Donnerstag, 30. Juni 2011

Whip It

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Vor zwei Jahren wagte sich Drew Barrymore erstmals auf den Regiestuhl. Und siehe da: Das Resultat lässt sich sehen – endlich auch hierzulande. Obwohl sie mit der Teenager-Saga Whip It das Rad nicht neu erfindet, fällt es schwer, sich dem Charme des Films zu entziehen.

"Deprimierend", "am Ende der Welt" und voll von "rassistischen Hinterwäldlern" – so "besingt" die 17-jährige Bliss Cavendar (die famose Ellen Page) ihren Wohnort Bodeen, eine weisse Suburbia nahe der texanischen Hauptstadt Austin, zur Melodie von Dolly Partons Country-Hit "Jolene". Das Kaff ist fürwahr nicht der Traum eines orientierungslosen, unscheinbaren und gelangweilten Teenagers. Ausstiegschancen bieten sich kaum, ausser in Form einer College-Anmeldung, wofür Bliss sich aber nicht richtig begeistern kann. Stattdessen arbeitet sie mit ihrer besten Freundin und Mit-Aussenseiterin Pash (Alia Shakwat) im lokalen Fast-Food-Restaurant und macht, ihrer traditionell gesinnten Mutter Brooke (eine starke Marcia Gay Harden) zuliebe, bei Schönheitswettbewerben mit. Als Bliss sich aber eines Tages auf Shoppingtour in Austin befindet, wird sie auf eine Gruppe von Frauen mit bunten Haaren, schrillen Outfits und 1970er-Rollschuhen aufmerksam – ein Roller-Derby-Team. Fasziniert von deren Unabhängigkeit und frechen Einstellung schnappt sie sich Pash und besucht heimlich ein Spiel. Der Sport begeistert sie sofort, woraufhin sie ihr Alter fälscht und ein Probetraining der "Hurl Scouts", der schlechtesten, aber gleichzeitig beliebtesten Truppe der Liga, besucht. Dort fällt sie durch ihr Talent auf und wird prompt ins Team aufgenommen. Bei Maggie Mayhem (Kristen Wiig), Smashley Simpson (Drew Barrymore) & Co., ihren neuen Kolleginnen/Idolen, fühlt sich Bliss zwar so wohl wie nie zuvor, distanziert sich damit aber auch von ihrer Familie, da diese nichts von der "ungebührlichen" sportlichen Aktivität ihrer ältesten Tochter wissen darf.

Neu ist die Geschichte von Whip It wirklich nicht. Autorin Shauna Cross, die hier ihr eigenes Buch (Derby Girl) adaptierte, versah den Film mit einer Vielzahl von wohlbekannten Mustern, welche fast schon ans Formelhafte grenzen: der Aufstieg des Underdogs, der Kampf des liberal gesinnten Teenagers gegen die altmodischen Eltern, der Ausbruch aus der Kleinstadt-Ödnis. Doch der Film weiss dies in gleich mehrfacher Hinsicht wettzumachen. Zum einen handelt es sich dabei um eine ungemein warmherzige und aufstellende Angelegenheit, woran der etwas eigene, leicht abseitige Humor im Stile von Terry Zwigoffs Ghost World oder Wes Andersons Komödien (Rushmore, The Royal Tennenbaums) sicherlich seinen Anteil hat. Allerdings verzichtet Whip It auch nicht auf durchaus nachvollziehbare Konflikte. Besonders die Betonung der Mutter-Tochter-Beziehung entwickelt eine spannende Dynamik, geht über gängige Klischees hinaus und führt letztlich zu einem für beide Seiten befriedigenden Ende.

Rollende Leidenschaft: Die 17-jährige Bliss Cavendar (Ellen Page) hat im rauen Roller Derby ihren Sport gefunden.
Zum anderen zeichnet sich der Film durch einen gewitzten Genre-Stilbruch aus. Drew Barrymores Regiedebüt wird zu einem schönen Teil von seinen aufregend inszenierten Roller-Derby-Szenen geprägt. Whip It ist ein Sportfilm aus dem Bilderbuch und damit ein Vertreter des wohl amerikanischsten aller Filmgenres. Aber so amerikanisch sein Inhalt, so gänzlich unamerikanisch seine Moral: Es geht nicht ums Gewinnen, nicht darum, dass man am Ende obenauf schwingt, sondern dass es viel wichtiger ist, sich dessen zu erfreuen, was man macht, und die Freude daran mit Leuten, die einem nahe stehen, zu teilen. Dass das "Feiern der Mittelmässigkeit" ("We're number two!"), wie es der Trainer der Hurl Scouts nennt, hier nicht nur als Gag gebraucht wird, sondern als erstrebenswerte Tugend dargestellt wird, ist Shauna Cross und Drew Barrymore hoch anzurechnen.

Whip It ist kein bahnbrechender Film, aber das muss er auch nicht sein. Er ist solide inszeniert – Drew Barrymore besitzt offenkundig Regietalent – und unterhält mit losem Mundwerk und handfesten Sportszenen sowie einem hervorragenden Cast (komödiantisches Glanzlicht: der Stand-Up-Comedy-Star Jimmy Fallon). Und obwohl sich der Plot öfters am Rande des Klischeehaften bewegt, kann man dem Film nicht wirklich böse sein; zu gut gelaunt und zu charmant kommt das Ganze daher. Whip It ist ein kleiner sommerlicher Aufsteller, der neben den Blockbustern 2011 wahrscheinlich verschwinden wird, es aber verdient hätte gesehen und anerkannt zu werden. Wer weiss? Vielleicht entdeckt ja sogar jemand das Roller Derby für sich.

★★★★½

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