Sonntag, 24. April 2011

The Fighter

Ein Film, der bei der Award-Saison 2010/2011 immer ein bisschen dabei war, dem aber nie soviel Respekt gezollt wurde wie einem True Grit oder einem The Social Network, war das Boxerdrama The Fighter von David O. Russell (Three Kings). Der Grund dafür mag das Genre sein: Ein Sportfilm, besonders einer, dessen Thema das Boxen ist, bedient Klischees, er zelebriert den steilen Aufstieg eines Niemands und damit den Amerikanischen Traum, und er zieht klare Linien zwischen Gut und Böse, zwischen denen, die dem Protagonisten den Weg versperren und denen, die ihm zur Seite stehen.

Zu sagen, dass sich Russells Film über diese Dinge hinwegsetzt, wäre eine Fehleinschätzung. Die Geschichte des Weltergewichtsboxers Micky Ward, der 2000 überraschend Weltmeister wurde, enthält sämtliche Ingredienzien für einen typisch amerikanischen – sprich pathetischen – Sportfilm. Doch The Fighter konzentriert sich auf Wards nächstes Umfeld, in welchem während der Neunzigerjahre schlimmste Spannungen herrschten und konstruiert daraus ein sportliches Familiendrama, das so packend und mitreissend ist wie ein Boxkampf.

Beneiden kann man Micky Ward um seine Familie, wie sie einem in The Fighter präsentiert wird, nicht: Seine Mutter Alice (Melissa Leo) ist ein tyrannischer Haudegen, mit dem man sich auf keinen Fall anlegen sollte – eine Erfahrung, die Mickys Vater George (Jack McGee) merhmals macht. Seine sieben Schwestern sind vom gleichen Kaliber wie Alice; und sein Halbbruder Dicky (Christian Bale) ist ein cracksüchtiger Angeber, der noch immer die Illusion hegt, eines Tages zum Profiboxen zurückzukehren. Und in Mickys Fall besteht nicht einmal die Chance, Verwandschaft und Sport zu trennen, da seine Karriere wie ein Familienunternehmen geführt wird: Alice fungiert als Managerin, Dicky als Trainer und George als Berater, auf den niemand hören will. Und sie alle wollen nur das Beste für Micky, ob es ihm passt oder nicht.

© Ascot Elite
Die Prämisse ist keine neue: Der Boxer hat an allen Fronten zu kämpfen und erhält lediglich im Ring die Chance auszubrechen und sich für maximal zwölf Runden wirklich frei zu fühlen, nur um danach wieder mit der harten Realität konfrontiert zu werden. Insofern erfindet The Fighter das Rad wahrlich nicht neu. Doch wenn die von Scott Silver, Paul Tamasy und Eric Johnson entworfene Story etwas beweist, dann dass auch alte Muster durchaus zu gefallen vermögen – wenn sie richtig eingesetzt und gekonnt präsentiert werden. Dass der Ablauf der Geschichte ziemlich vorhersehbar ist, stört kaum; auch nicht die Tatsache, dass dem Film leider etwas das Gefühl für den Lauf der Zeit fehlt. Dass zwischen Anfang und Ende ungefähr acht Jahre vergehen, ist aus dem Film selbst nicht zwingend ersichtlich.

Doch diesbezügliche Probleme werden durch das Herzstück von The Fighter – das zentrale Familienkonstrukt – spielend leicht vergessen gemacht. Das Autorentrio hat bei der Charakterzeichnung ganze Arbeit geleistet: Die Charakterisierungen sind von Mike Leigh'scher Genauigkeit und Beobachtungsgabe und zeigen einem hinter jeder Figur eine glaubwürdige Motivation, eine tragische Seite, sodass man selbst mit einer im Grunde unausstehlichen Person wie Alice durchaus mitfühlen kann.

Trotzdem ist der Sympathieträger des Films eindeutig Micky. The Fighter konzentriert sich auf seinen Reifeprozess, den körperlichen – Trainingsmontagen sind keine Mangelware – wie den emotionalen, der aufzeigt, wie er sich nach und nach von seiner Familie distanziert und schliesslich stabil genug ist, sich ihr wieder zu nähern und ihr klarzumachen, dass er derjenige ist, der sich um ihr finanzielles Auskommen kümmert und deshalb im Gegenzug auch das Recht hat, dass seine Meinung gehört und akzeptiert wird.

© Ascot Elite
Gespielt wird Micky von Mark Wahlberg, der selbst eine vergleichbare Karriere wie seine Rolle durchschritten hat: vom kurzlebigen Teenie-Musiker zum respektierten Hollywood-Schauspieler. Auch wenn Wahlberg in manchem Film eher farblos wirkt, erfüllt er Micky mit der ihm eigenen Ruhe, die wunderbar zu diesem Charakter passt und die Szenen, in denen er laut und emotional wird – etwa wenn es darum geht, seine Freundin Charlene (die starke Amy Adams) zu verteidigen –, umso wirkungsvoller und eindringlicher macht.

Die Skriptschreiber belassen es aber nicht bei der Behandlung von Mickys Konflikt mit seiner Familie. Sein Aufstieg, Niedergang und erneuter Aufstieg in der Welt des Boxens wird zum Katalysator für sämtliche schwelenden Auseinandersetzungen der Ward-Sippe: Vater George versucht verzweifelt, Micky aus dem Würgegriff seiner Frau zu befreien; die sieben Schwestern sehen sich durch Charlene bedroht; und Alice hat die Hoffnung, dass Mickys Erfolg Dicky irgendwie von der Crackpfeife befreien kann – vergeblich, denn Dicky landet für eine gewisse Zeit im Gefängnis, in welchem allerdings seine Katharsis, die, wie Mickys Reifeprozess, eine physische sowie eine emotionale Seite hat, seinen Lauf nimmt. Insbesondere letztere Konstellation ist von beeindruckender Intensität, wohl nicht zuletzt dank der grandiosen schauspielerischen Leistungen von Melissa Leo und, vor allem, Christian Bale, dessen Rastlosigkeit perfekt zum Tempo von The Fighter passt. Die Szenen, die sich die beiden teilen, gehören zu den bewegendsten des Films – etwa wenn Alice weinend im Auto sitzt, weil sie Dicky wieder in einer Crackhöhle gefunden hat, und er sie aufheitern will, indem er "I Started a Joke" zu singen beginnt.

© Ascot Elite
Die Brillanz von The Fighter ist aber nicht vollständig beschrieben, wenn nicht David O. Russells hervorragende Regie erwähnt wird. In seiner Inszenierung sind Tempo und Unrast nicht den Boxkämpfen vorbehalten. Auch bei den ohnehin schon schnellen Dialogszenen gönnt sich der Film keine Atempause, sondern bleibt immer in Bewegung, sei es durch Hoyte van Hoytemas dynamische Kameraarbeit, die auch vor Schwenks auf engstem Raum nicht zurückschreckt und auf diese Weise stellenweise den Look eines Handkamera-Familienfilms imitiert, oder durch den aufregenden Score von Michael Brook. So überrascht es nicht, dass die Boxszenen selbst zwar nicht in den Hintergrud rücken, aber immerhin eine kleinere Rolle als in vergleichbaren Filmen einnehmen, da das im Mittelpunkt stehende Familiendrama keiner "Aufpeppung" bedarf. Dennoch können sich die Szenen mit ihrer Härte, ihrem Realismus und den sehr effektiven eingeflochtenen Archivaufnahmen durchaus sehen lassen.

In Zeiten der Wirtschaftskrise ist es verlockend, The Fighter der momentanen gesellschaftlichen Befindlichkeit in den USA gegenüberzustellen, wie es diverse Kritiker getan haben. Tatsächlich liesse sich David O. Russells achter Film problemlos als Parabel für die Durchsetzungskraft des Starken in Zeiten der Schwäche hinstellen. Doch das ist im Grunde genommen gar nicht nötig, denn auch ohne diese doppelbödige Interpretation ist The Fighter ein gehaltvoller, eindringlicher und gleichzeitig durch und durch traditioneller Boxstreifen, der durch ein atemberaubendes Tempo, starke Charaktere und genuine Dramatik besticht. Insofern liegt er nahe an Martin Scorseses Raging Bull, auch was die Qualität anbelangt, da auch hier die Menschen und nicht der Sport im Mittelpunkt stehen. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn sich zukünftige Sportfilme eine Scheibe von The Fighter abschneiden würden.

★★★★★

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