Donnerstag, 24. April 2014

The Amazing Spider-Man 2

© 2013 Sony Pictures Releasing GmbH

★★★

"It may lack the topical awareness, the cultural perceptiveness of Marvel’s concurrent Captain America: The Winter Soldier, but it, too, does what distinguishes Marvel from its DC rivals these days: movies don’t necessarily improve if seriousness is forced upon them. There is value in pure entertainment as well."

Ganze Kritik auf The Zurich English Student (online einsehbar).

Donnerstag, 17. April 2014

The Lego Movie

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

In Zusammenarbeit mit Warner Bros. hat der legendäre dänische Spielzeughersteller Lego einen Animationsfilm produziert. Was im Grunde nichts anderes ist als ein 100-minütiger Werbefilm für sein kultiges Produkt, überzeugt mit gewitztem Humor, ungezügelter Energie und blühender Fantasie.

Hat die Welt auf einen Film gewartet, der Präsident Abraham Lincoln (Stimme: Will Forte), die Zauberer Albus Dumbledore (Harry Potter) und Gandalf (The Lord of the Rings), die Superhelden Batman (Will Arnett – wunderbar), Superman (Channing Tatum), Green Lantern (Jonah Hill) und Wonder Woman (Cobie Smulders), den Star Wars-Androiden C-3PO (Originalbesetzung Anthony Daniels) sowie William Shakespeare, Michelangelo und die Simpsons-Nebenfigur Milhouse Van Houten aufeinander treffen lässt? Wahrscheinlich eher weniger, doch nun, da sie alle in The Lego Movie vereint sind, wäre es vermessen, sich darüber zu beklagen. Was die Regisseure Phil Lord und Christopher Miller, welche erstmals 2009 mit dem animierten Abenteuer Cloudy with a Chance of Meatballs auf sich aufmerksam machten, hier heraufbeschwören, gehört zum Erfrischendsten, was im Hollywood-Mainstream letzthin zu sehen war.

"Everything Is Awesome" ist die Pop-Hymne der von Lord Business (Will Ferrell) geführten Stadt, in der das Bauarbeiter-Legomännchen Emmet (Chris Pratt) ein durchschnittliches, aber stets gut gelauntes Leben führt; und ihr Titel steht symptomatisch für den ganzen Film. Nachdem Emmet zufällig auf ein mysteriöses Artefakt stösst, welches die Superwaffe – eine Leimtube – zu neutralisieren vermag, die Lord Business vor einigen Jahren dem weisen Magier Vitruvius (ein umwerfender Morgan Freeman) gestohlen hat, gerät er, verfolgt von einem bipolaren Polizisten (Liam Neeson), in einen wilden Strudel aberwitziger Abenteuer, den er zusammen mit der lebhaften Rebellin Wyldstyle (Elizabeth Banks), einem Einhorn-Kätzchen (Alison Brie) sowie dem narzisstischen Batman bestreitet. In dieser verrückten Welt aus Legosteinen, in der CGI und Quasi-Stop-Motion nahtlos ineinander übergehen, in der Geister an absichtlich unübersehbaren Fäden hängen und sich so manches Geräusch als rudimentäre Nachahmung entpuppt, ist alles möglich. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Hier sitzt Abraham Lincoln auf einem raketenbetriebenen Thron, dort existiert ein Transformer-Pirat und anderswo verfolgt Batman eine Zweitkarriere als Sänger düsterer Balladen ("Darkness... no parents... continued darkness"). Die strikten Bauanleitungen, die Lord Business zum ehernen Gesetz erheben will, sind für den wahren Spieler lediglich eine Empfehlung. 

Emmet (Stimme: Chris Pratt, 2. v. l.) erlebt mit Wyldstyle (Elizabeth Banks, rechts), dem Magier Vitruvius (Morgan Freeman, 2. v. r.) und dem Einhorn-Kätzchen (Alison Brie) ein aberwitziges Abenteuer.
© 2013 Warner Bros.
Dass all diese hochgradig unterhaltsamen Szenarien letztlich der Vorstellung eines menschlichen Lego-Enthusiasten entstammen – der ultimative Werbe-Kniff –, wird indes schnell klar. Gerade deshalb stellt sich im letzten Akt eine leise Enttäuschung ein, als das Regie-Duo einen Ausflug in die "echte" Welt unternimmt und Absurdität und Subversion – die gefügige "Everything Is Awesome"-Konsumgesellschaft, in der Emmet lebt, ist eine für einen Kinderfilm unerwartet harsche Kritik an den zeitgenössischen USA – vorübergehend durch überbetonte Rührseligkeit und vergleichsweise plumpes Pathos ersetzt werden. Doch schlussendlich ist The Lego Movie ein für alle Beteiligte erfolgreiches Unterfangen: Ein Sequel ist bei Warner Bros. nicht nur geplant – es hat sogar schon einen Starttermin (26. Mai 2017). Lego beschliesst mit The Lego Movie eine mehrjährige Image-Kampagne, die der lange kriselnden Firma wieder zur Beliebtheit von einst verholfen hat. Gut so, denn der Zuschauer wird mit einem überaus köstlichen Stück Unterhaltungskino verwöhnt.

★★★★

Donnerstag, 10. April 2014

Nymph()maniac – Volume II

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Das Opus magnum, das womöglich keines hätte sein sollen: Nach einem fulminanten ersten Teil verliert sich Volume II von Lars von Triers Nymph()maniac, seiner episodenhaften Auseinandersetzung mit Sex, skrupelloser Weiblichkeit und der Macht der Erzählung, in der Repetition.

Mit der Dogme-95-Bewegung hat Lars von Trier schon längst gebrochen; Idioterne (1998) blieb der einzige Film, den der Mitbegründer der dänischen Avantgarde-Kollektive dazu beisteuerte – bloss eine Fussnote im Werk des Regisseurs von Breaking the Waves, Dogville und Antichrist. Und doch ist es immer wieder eine kleine, im Grunde irrationale Überraschung zu sehen, wie weit er sich von den Dogme-Geboten distanziert hat. Der Handkamera ist er treu geblieben, mitunter auch der Regel, nur natürliches Licht zu verwenden, und in ein Genre lassen sich seine Filme noch immer nicht einordnen; doch inzwischen haben CGI und digitale Nachbearbeitung ebenso Eingang in sein Handwerk gefunden wie zeitlich und örtlich abstrahierte Schauplätze und "unechte" Drehorte (man denke an die Theater-Ästhetik von Dogville). Dieser nonchalante Bruch mit der eigenen Vergangenheit hat in gewisser Hinsicht in Nymph()maniac – Volume I seinen Höhepunkt erreicht; mit ihren verspielten Verfremdungseffekten und augenzwinkernden Einspielern ist die Biografie der sexsüchtigen Joe (Charlotte Gainsbourg), wie diese sie dem Junggesellen Seligman (Stellan Skarsgård) darlegt, vielleicht der befreiteste Eintrag in von Triers Filmografie.

Und obwohl Volume II dort ansetzt, wo sein Vorgänger aufgehört hat – im Moment, in dem Joe feststellt, dass sie durch ihre Beziehung zu Jerôme (Shia LaBeouf) ihr sexuelles Empfinden verloren zu haben scheint –, vermag er dessen Faszination nicht gänzlich zu reproduzieren. Zwar mag Seligman noch immer allerlei historische Präzedenzen beiziehen, um Joes Verhalten zu umschreiben – von Beethoven, Bach und Wagner bis zu Thomas Mann und Sigmund Freud –, Joe weiterhin unablässig nach Eskapaden Ausschau halten – vom mysteriösen K (Jamie Bell) lässt sie sich in Sadomasochismus unterweisen, von L (Willem Dafoe) in mafiösen Geschäften –, von Trier die Filmgeschichte in seine Inszenierung einfliessen lassen – neben Fassbinder und Tarkovsky zitiert er mit einem Verweis auf den oft diskutierten Prolog von Antichrist sogar sich selbst; aber es fehlt die Verve, welche Volume I zu einem derart lebhaften Stück Provokation machte. Die Stilmittel verlieren durch allzu häufige Anwendung ihre Schärfe; wie der Nymphomanin die Lust am Sex kommt dem Zuschauer die Begeisterung für das Leinwandgeschehen abhanden.

Auf der Suche nach neuen sexuellen Abenteuern entdeckt Joe (Charlotte Gainsbourg) den Sadomasochismus.
© Ascot Elite
Klar, dieser Effekt ist zu einem gewissen Grad kalkuliert. Natürlich demonstriert von Trier damit seine Macht als Regisseur, indem er dem sich mit seiner Vision anfreundenden Zuschauer wieder ein Schnippchen schlägt. Das ist sein Stil, so kennt man ihn, so wird er dereinst in die Annalen eingehen. Doch in diesem Fall untergräbt diese Entwicklung die inhaltlichen Ansprüche des Films. Denn Nymph()maniac ist auch in seiner anderweitig eher enttäuschenden zweiten Hälfte voll von spannenden Ansätzen: Von Trier erkundet die Verwandtschaft von Sex und Religion, von der Passion Christi und den Peitschenhieben, denen sich Joe in Ks "Therapiestunden" aussetzt. Mit unverhohlener Ironie lässt er Seligman die geschundene Hauptfigur als Auflehnung der jahrhundertelang unterdrückten Frau gegen die Scheinheiligkeit der männlich-bourgeoisen Moralgesellschaft lesen. Und im Kern der Handlung steckt nach wie vor die Möglichkeit, dass die ganze vierstündige Geschichte nur eine Erfindung Joes ist, der erzählenden Scheherazade, die schlussendlich die Waffe auf ihr Publikum richtet – ein passendes Bild für das Kino des Lars von Trier.

★★★

Sonntag, 6. April 2014

Noah

Das Problem der Bibel ist nicht ihr Inhalt, und sei er noch so xenophobisch, sexistisch, homophob und blutrünstig. Wie die Edda, die Bhagavad Gita oder die antiken Mythensammlungen enthält sie faszinierende, ja inspirierende Geschichten, denen, aus literarischer Sicht, nicht selten eine anregende Zeitlosigkeit innewohnt. Die Probleme beginnen erst, wenn versucht wird, sie aus ihrem natürlichen Umfeld, zu dem auch andere, ähnlich konzipierte Schriften wie Boccaccios Decamerone oder Chaucers Canterbury Tales gehören, loszulösen und ihr einen Wahrheitsgehalt anzudichten, den sie erwiesenermassen nicht hat, als Resultat jahrhundertelanger Revision gar nicht haben kann. Ihre Poesie verliert an Magie, wenn in ihrem Namen Menschen verfemt, verbannt, gefoltert und getötet werden.

So umgibt jene Bibel-Epen, die in Hollywoods goldenem Zeitalter praktisch Jahr für Jahr die Massen in die Kinos lockten – Quo Vadis, The Ten Commandments, Ben-Hur –, und ihr geradezu fanatisch inbrünstiges Verneigen vor christlich-jüdischer Dogmatik eine zweifelhafte Aura. Allein schon deshalb zeichnet sich Darren Aronofskys Noah als lobenswert originelle Kinoadaption einer alttestamentarischen Sage aus: Für Aronofsky, Enfant terrible des mehrheitsfähigen US-Kunstfilms und Praktizierer eines persönlich gestalteten New-Age-Spiritualismus, ist die Bibel eine Fantasy-Parallelwelt, welche sich nach Belieben dehnen und ausschmücken lässt.

Seine Interpretation der Sintflut, die ein mit seiner Schöpfung desillusionierter Gott ("The Creator") entsendet, um alle und alles ausser Noah (Russell Crowe), seine Familie und "alles, was kreucht und fleucht", auszulöschen, ist bar jeglicher Historizität; die Kontinente, wie sie hier zu sehen sind, sind zu einem fiktiven Pangäa verschmolzen, dessen Realitätsanspruch nicht höher als derjenige von J. R. R. Tolkiens Mittelerde ist. Die virtuose Sequenz, in der Noah die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt, während auf der Leinwand Urknall, Weltenbildung, Zellteilung und darwinistische Evolution zu sehen sind, scheint die Möglichkeit anzudeuten, dass der Film in einer postapokalyptischen Zukunft spielt. (Es wäre nicht das erste Mal, dass Aronofsky den dramaturgischen Clou im Vordergrund versteckt: The Fountain, allenthalben als Zeitreise- oder Wiedergeburts-Narrativ beschrieben, beschäftigt sich augenscheinlich mit dem Akt des Schreibens.)

Noah (Russell Crowe) kämpft mit der Mission, die ihm der Schöpfer aufgetragen hat.
© Paramount Pictures Corporation
Überhaupt ist Noah ein Epos voller moralischer Grautöne, in dem nicht nur Noah, sondern auch Gott selber keineswegs über alle Zweifel erhaben sind. Während der Allmächtige, niemals mehr als ein grelles Licht am Himmel, letztlich als launischer Rachegott dargestellt wird, welcher jene Engel, die sich nach dem Sündenfall Adams und Evas erbarmen und ihnen zu Hilfe eilen wollen, in steinerne Golem-Ungeheuer verwandelt, finden Aronofsky und sein regelmässiger Co-Autor Ari Handel (The Wrestler, Black Swan) in ihrer Titelfigur einen spannenden Gewissenskonflikt. Noah ringt konstant mit der ihm aufgebürdeten Mission, mit der Diskrepanz zwischen blindem Glauben und freiem Willen, mit den "frevelnden" Menschen, die unter Führung Tubal-Kains (Ray Winstone) einen Platz auf der Arche verlangen, mit einer Familie, die sich zunehmend vor dem fanatischen Propheten fürchtet, zu dem ihr Oberhaupt geworden ist. In einem der am stärksten nachhallenden Momenten des Films sitzen Noah, seine Frau Naameh (Jennifer Connelly), seine Söhne Ham (Logan Lerman) – der verfluchte Stammvater Kanaans – Sem (Douglas Booth) und Japhet (Leo McHugh Carroll) sowie seine Adoptivtichter Ila (die schwache Emma Watson) in ihrem kruden Rechteck von einem Schiff in Sicherheit, derweil von draussen eine überwältigende Geräuschkulisse die gespannte Stille durchdringt: Wellen branden gegen das Gebilde, der Regen prasselt darauf nieder, die dem Verderben geweihten "Sünder" schreien ohne Unterlass.

"Alles, was kreucht und fleucht": Die unschuldigend Tiere sollen die Arche Noah füllen.
© Paramount Pictures Corporation
Aronofsky beschwört in seinem Film eine beeindruckende Atmosphäre, die sich aus der unterschwellig gewichtigen Materie, dem makellosen Tondesign, Clint Mansells modernistisch angehauchtem Musikscore sowie den grandios komponierten, oftmals drastischen Bildern zusammensetzt. Diese ist es auch, die Noah über seine zahlreichen Defizite hinweg hievt; seine bemühenderen Passagen, die sich besonders in der zweiten Hälfte zu häufen beginnen, sein stellenweise missglücktes CGI, seine Stellen, in denen das Ganze zu sehr ins Esoterische abzudriften droht. Selbst der Versuch, der Geschichte von der Arche Noah, welche in der Genesis lediglich drei Kapitel einnimmt, durch die Familienverhältnisse seines Protagonisten zusätzliche Tiefe zu verliehen, stösst bisweilen an seine Grenzen. Noahs Sinnkrise, welche darin mündet, dass er die gesamte Menschheit ausgelöscht sehen will, einschliesslich seiner neu geborenen Enkel, ist eine passende Parabel auf die Crux des – wie bei Ingmar Bergman – schweigenden Gottes; derweil Hams Verführung durch Tubal-Kain, ein unterentwickelter Subplot, dem eh schon überladenen Film nicht viel mehr zu geben vermag als eine unnötige Action-Klimax.

Inwieweit das Produkt, welches derzeit in den Kinos zu sehen ist, wirklich Aronofskys Vision entspricht, bleibt letztendlich offen. Mindestens viermal wurde Noah neu geschnitten, bevor ein Testpublikum sich damit anfreunden konnte; Sequenzen, welche Anhänger abrahamitischer Religionen erzürnen könnten, blieben ohnehin im Schneideraum liegen. Man darf gespannt sein, wie viele "Director's Cut"-Fassungen des Films in den kommenden Jahren die Runde machen werden. Für den Moment lässt sich konstatieren: Noah ist eine prächtig unvollkommene Sonderbarkeit im Werk eines Visionärs.

★★★

Donnerstag, 3. April 2014

Her

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat. 

Drei Filme hat Spike Jonze in den letzten 15 Jahren gedreht, allesamt brillant; sie etablierten ihn als eines von Hollywoods grössten Regie-Talenten. Nun hat sich der einstige Videoclip- und Werbefilmer mit Her, einer ebenso emotionalen wie intelligenten Tragikomödie, selber übertroffen.

Der Realitätsbegriff zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre des Spike Jonze. Während seine Langspielfilme sich in unterschiedlicher Form mit konstruktivistischen Ideen beschäftigten – in Being John Malkovich entdeckt John Cusack ein Tor ins Bewusstsein des Titel gebenden Schauspielers, in Adaptation sprengt ein Drehbuch den fiktiven Rahmen des Films, Where the Wild Things Are verlegt die Imagination eines Kindes in die Wirklichkeit –, verbindet er in seinen Kurzfilmen diese Ansätze mit einer Reflexion darüber, inwiefern die Liebe, deren Schönheit er genauso zelebriert wie ihre potentiell selbstzerstörerische Wirkung, damit zusammenhängt. Im animierten Mourir auprès de toi (2011) endet die von Moby Dick an den Rand einer Katastrophe gebrachte Beziehung zweier Buchdeckel-Figuren erst im Tod, nur um dann von der Unsterblichkeit der Fiktion errettet zu werden; in I'm Here (2010) kommt die Dimension der Technologie hinzu, als ein Roboter (Andrew Garfield) sich in eine zerbrechliche Artgenossin verliebt, welcher er nach und nach seinen ganzen Körper schenkt.

So gesehen, ist Her eine Verschmelzung dieser Themenbereiche. Theodore Twombly (Joaquin Phoenix mit einem Karriere-Glanzlicht), professioneller Briefschreiber bei "BeautifulHandwrittenLetters.com", lädt sich während der Scheidung von seiner Jugendliebe Catherine (Rooney Mara) ein neues personalisiertes Computer-Betriebssystem herunter. Das intuitive Programm nennt sich Samantha (famos gesprochen von Scarlett Johansson) und fasziniert den einsamen Theodore mit Charme und verblüffender Menschlichkeit. Bald schon nimmt er mit seiner nur stimmlich anwesenden Gefährtin eine romantische Beziehung auf. Jonzes Interesse an den Mechanismen der Liebe wird mit dem Sinnieren darüber verbunden, wie real der Dialog zwischen einem Menchen und einem gemeinhin als leblos erachteten Objekt – hier einer künstlichen Intelligenz – sein kann, inwieweit man von einem genuinen Austausch sprechen kann.

"Your Voice in My Head": Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) verliebt sich in sein Computer-Betriebssystem, dessen Stimme (Scarlett Johansson) er per Kopfhörer empfängt.
 © Ascot Elite
Vorgetragen wird dies mit viel Witz, Feinsinn sowie darstellerischer und dramaturgischer Virtuosität (der Drehbuch-Oscar für Jonzes erstes alleine verfasstes Skript ist hochverdient). Jonze kreiert in Her eine stimmige nahe Zukunft, zirka 2025, deren Atmosphäre ohne jede Künstlichkeit, sondern mit erzählerischer Raffinesse und K. K. Barretts hervorragender Ausstattung vermittelt wird. Theodore lebt in einem freundlichen, überwiegend toleranten Los Angeles des weit verbreiteten Wohlstands, der funktional-eleganten Retro-Ästhetik, der weichen LED-Beleuchtung, der einfach zu bedienenden Touchscreens. Seine Mitmenschen sind wie er selber im Internetzeitalter aufgewachsen; Leute wie er, die im Zwiegespräch mit ihren per Kopfhörer stets erreichbaren Betriebssystemen, scheinbar mit sich selbst redend, durch den Tag gehen, sind die Norm.

Doch Jonze erhebt während seines Filmes nie den Zeigefinger. Die Liebe zwischen Theodore, der von menschlichen Partnerinnen überfordert und missverstanden wird – grandios die Gegenüberstellung des Chat-Sex, den er erst mit einer Frau und dann mit Samantha hat –, und der wissbegierigen Samantha wird, entgegen dem Trend thematisch ähnlicher Produktionen, nicht aus kulturpessimistischer Sicht gezeigt. Vielmehr nimmt Her seine zentrale Romanze – mit allen ihren Hochs, Tiefs und praktischen Schwierigkeiten – absolut ernst; die Dynamiken, die zwischen Theodore, Samantha, Catherine sowie Theodores bester Freundin (Amy Adams) wirken, werden in ihrer ganzen Komplexität ausgeleuchtet. Spike Jonze ist mit seinem neuesten Film ein anregendes, bewegendes Meisterwerk gelungen, vielleicht sogar ein künftiger Klassiker des Web-2.0-Kinos.

★★★★★