Mittwoch, 27. Februar 2013

Schweizer Kino und Kultur-Skepsis


"Hand aufs Herz! Kennen Sie die folgenden Filme? 

- Il Comandante e la cicogna
- Opération Libertad
- Rosie
- Sister 
- Verliebte Feinde
 
Nein? Dann sind Sie nicht allein. Oder kennen Sie diese Stars:

- Sibylle Brunner, Mona Petri, Sabine Timoteo? 
- Fabian Krüger und Kacey Mottet Klein?
 
Nein? Dann werden Sie sich wundern: Das sind die Nominierten für den Schweizer Filmpreis 2013. Der am 23. März in Genf vergeben wird. Wieder mal pseudointellektuelle Inzucht. So kommt der CH-Film nie aus seiner Krise."

Dieser Beitrag stammt aus der Feder von Helmut-Maria Glogger, erschienen im heutigen Blick am Abend. Es fallen bereits auf den ersten Blick mehrere Probleme ins Auge – selbst wenn vom allgemeinen Tonfall abgesehen wird: So steht etwa zu bezweifeln, dass allzu viele Leser, die Frage, ob sie L'enfant d'en haut (Sister) kennen, mit Nein beantworten werden, war doch der Film im vergangenen Jahr in aller Munde, sei es wegen des Silbernen Bären, den er erhalten hat, wegen der César-Nomination von Kacey Mottet Klein, seines Zeichens bereits ein Gewinner des Schweizer Filmpreises, oder aufgrund der Tatsache, dass der Film es bis unter die letzten neun Kandidaten für den Fremdsprachen-Oscar geschafft hat, eine Ehre, die seit 2006 und Fredi M. Murers Vitus keinem Schweizer Film mehr zuteil geworden war. Auch erscheint die Benutzung des Wortes "Stars" ein wenig fehl am Platze, wenn man sich darüber echauffiert, keinen der genannten Namen zu kennen.

L'enfant d'en haut
Nun könnte man sich fragen, warum man sich überhaupt mit einem derartigen Text näher befassen sollte. Nicht nur zeugt er von einer Armut an anderen Themen, die seinem Autor augenscheinlich zu schaffen machte; die Tatsache, dass er von Helmut-Maria Glogger verfasst wurde, dessen Populismus schon längst zur peinlichen Selbstkarikatur verkommen ist, sowie der boulevardeske Kontext, in dem er veröffentlicht wurde, scheint ihn von seriöser Analyse zu disqualifizieren.

Doch in einem Land wie der Schweiz, einem Land, in dem der Wert eines Studiums an seinem ökonomischen Nutzen gemessen wird, einem Land, in dem, so scheint es, viele Formen der Kunst und Kultur, seien sie nun "alternativer" Natur oder nicht, gegen ein tief sitzendes öffentliches Misstrauen zu kämpfen haben ("Und dafür zahlen wir Steuern!"), gibt ein Text wie dieser doch sehr zu denken. Seine Publikation, die von den Blick am Abend-Oberen abgesegnet worden sein muss, legt nahe, dass diese Meinung – wie auch die Art und Weise ihrer Äusserung –, wenn nicht mehrheits-, dann wenigstens salonfähig ist.

Opération Libertad
Das Schlüsselwort lautet dabei "pseudointellektuell", wobei die Vorsilbe im Grunde gar nicht nötig wäre. Selbst wenn Herr Glogger die für den Preis nominierten Filme – über deren Existenz er nach eigener Angabe ja offensichtlich nicht informiert war, wonach sein abgedrucktes, zehntausendfach zirkuliertes Urteil vermutlich auf einer kurzen Google-Suche basiert (was dies über die zweitgrösste Schweizer Gratiszeitung aussagt, soll hier wohlwollend ausgeklammert werden) – lediglich als "intellektuell" bezeichnet hätte, hätte dies dennoch einen pejorativen Anklang gehabt. Intellektuell, ob mit oder ohne griechisches Präfix, das ist, wie man es seinen Blick am Abend-Exkursen jeweils entnehmen kann, gleichbedeutend mit elitär, akademisch, mit ideologischem Subtext aufgeladen, wenig gesehen, nicht unterhaltsam, im Zweifel links ("Unterhaltung raus, SP-Politik rein", war sein Verdikt während der Kontroverse um den ersten Luzerner Tatort) – verwandt mit dem von Roger Köppel einst eingehend beschriebenen "Scheissfilm". Es ist spürbar, dass sich Herr Glogger seiner Sache sicher ist und der Meinung ist, mit seinen Stammtisch-Parolen dem Gros seiner Leser aus dem Herzen zu sprechen. Ob dies nun zutrifft oder nicht, Tatsache ist, dass sein Vertrauen in die oben angesprochene Schweizer Kultur-Skepsis bedenklich gross ist.

In einem Punkt liegt die Kolumne allerdings vollkommen richtig: Das Schweizer Kino ist in einer Krise. Die grossen Zeiten von ernsthaften Künstlern wie Franz Schnyder, Leopold Lindtberg, Michel Soutter, Kurt Gloor, Alain Tanner oder Claude Goretta sind längst vorbei, die erfolgreicheren Produktionen der letzten Jahre (Grounding, Mein Name ist Eugen, Die Herbstzeitlosen, Giochi d'estate) können bestenfalls leidlich überzeugen und selbst die qualitativ hochstehenderen Erzeugnisse der Industrie (Sternenberg, Happy New Year, Stationspiraten) werden ausnahmslos durch überbeanspruchte cineastische Helvetismen getrübt. Dass sich der Geschmack der breiten Masse in Richtung der "dokumentarischen" Darstellung einer schamlos romantisierten Schweiz bewegt (Die Kinder vom Napf, Alpsegen), verbessert die Situation beileibe nicht.

Verliebte Feinde
Die Kritiker dieses neuen Schweizer Kinos, die im vergangenen Jahr Filme wie Nachtlärm oder Das Missen Massaker – das neueste Werk des gerne als grosse Hoffnung für die nahe Zukunft bezeichneten Michael Steiner – erleiden mussten, werden angesichts der Nominationen für den Schweizer Filmpreis aufatmen: Verliebte Feinde behandelt am Beispiel der Iris von Roten den in den Fünfzigerjahren aufkeimenden Feminismus; Opération Libertad spinnt ein Stück Schweizer Zeitgeschichte weiter; L'enfant d'en haut erzählt in der Tradition von Chabrol, Truffaut und Murer von den sozialen Ungleichheiten im modernen Europa – um nur drei der fünf Filme zu nennen. Intellektuell? Ja – und zwar im Sinne von intelligent, durchdacht und würdevoll.

Doch während wohl die meisten Kritiker den Stil einer Ursula Meier als grösste Zukunftshoffnung des nationalen Filmschaffens betrachten, glaubt Glogger, gerade darin dessen endgültigen Untergang zu erkennen. Der beschränkte Platz seiner Plattform erlaubt es ihm aber nicht, näher auf den von ihm gewünschten Gegenentwurf einzugehen, wobei bezweifelt werden darf, dass er einen solchen zur Hand hat. Und auch hier zeigt sich die traurige Salonfähigkeit der Schweizer Kultur-Skepsis (auch Antiintellektualismus würde passen): Sich mit einer Sache zu befassen, ist keine Voraussetzung dafür, gegen sie zu Felde zu ziehen und sie als "pseudointellektuelle Inzucht" zu diffamieren. Nachdenklich sollte einen dies schon stimmen.

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