Samstag, 24. März 2012

The Best Exotic Marigold Hotel

Der Reisebericht gilt als einer der frühesten Anwendungsbereiche des Mediums Film. Das künstliche Besuchen exotischer Orte erfreute sich besonders in den 1910er Jahren grosser Beliebtheit, da es der breiten Masse trotz angespannter Wirtschaftslage möglich war, fremde Länder billig und sicher im Kino zu bereisen. In gewisser Hinsicht hat dieser "virtuelle Tourismus" bis heute überlebt, auch ausserhalb des Dokumentarfilms. Zwar wird in diesen Werken mittlerweile eine Geschichte erzählt – oft sogar eine sehr gute –, doch das Prinzip, die Reisegelüste des Zuschauers gleichzeitig zu befriedigen und anzuheizen, ist dasselbe geblieben. Auf eben dieser Schiene bewegt sich der neue Film von John Madden, dem vielseitigen Regisseur von Romanzen wie Shakespeare in Love (sieben Oscars) oder Captain Corelli's Mandolin und Thrillern wie Killshot oder The Debt. Mit einem stargespickten Cast begibt sich Madden im sympathischen, wenngleich unterdurchschnittlich geschriebenen The Best Exotic Marigold Hotel, der Verfilmung von Deborah Moggbachs Roman These Foolish Things, ins nordwestindische Jaipur, wo er eine Gruppe von englischen Rentnern das Leben neu entdecken lässt.

Evelyn (Judi Dench) hat soeben ihren Mann verloren, der ihr nichts als Schulden hinterlassen hat; Madge (Celia Imrie) hat mehrere Ehen hinter sich und ist es leid, von ihrer Tochter herumkommandiert zu werden; Norman (Ronald Pickup) ist trotz seines Alters noch eifrig auf der Suche nach schönen Frauen; Graham (Tom Wilkinson) geht nach einer langen Karriere als Richter in Rente; Douglas (Bill Nighy) und Jean (Penelope Wilton) können sich in England keine zufriedenstellende Wohnung leisten; und Muriel (Maggie Smith) braucht ein neues Hüftgelenk. Aus diesem und jenen Grund stossen alle diese Menschen aus der Altersgruppe "65 plus" im Internet auf die Website des in der indischen Metropole Jaipur gelegenen Best Exotic Marigold Hotel, wo der junge Besitzer Sonny (Dev Patel) den "Älteren und Schönen" eine luxuriöse Unterkunft verspricht. Bald schon finden sich alle Beteiligten vor dem Etablissement ein, wo sie allerdings feststellen müssen, dass Sonny den Zustand seines Hotels etwas beschönigt hat. Doch Indien ist kein Land, wo man mit Sturheit weiterkommt, also macht die Mehrheit der sieben Rentner das Beste aus der Situation und passt sich an das Leben im heissen, lauten und bunten Subkontinent an – allen Vorurteilen zum Trotz.

Warten auf das neue Leben: Die englische Rentnertruppe am Flughafen.
Komödien und komisch angehauchte Dramen machen gerne von einer speziellen Taktik Gebrauch: Gelingt es ihnen nämlich, charmant und sympathisch zu wirken, ist das Publikum eher geneigt, über gewisse Schwächen hinwegzusehen. In den schlechtesten Fällen macht das einen Film nur noch erbärmlicher, da der Versuch allzu offensichtlich ist. In den besten jedoch können ganze Projekte dadurch gerettet werden. Während es sicher vermessen wäre, The Best Exotic Marigold Hotel zur Gruppe der Letzteren zu zählen, hat John Maddens neunter Film dem Charme seiner Darsteller sicherlich einiges zu verdanken. Die Charaktere, welche in die sehr simpel gestrickte Geschichte geworfen werden, sind fast ausnahmslos liebenswert und amüsant, wenn auch etwas unausgewogen. Es finden sich zwar Figuren mit einer gewissen Tiefe – insbesondere Tom Wilkinsons Graham –, doch es sind die Stereotypen, die hier in der Überzahl sind. Darin zeigt sich jedoch auch die Klasse der einzelnen Mimen: Selbst wenn sie sich mit einer klischierten Charakterisierung konfrontiert sehen, nehmen sie die Herausforderung an und arbeiten mit beachtlicher Grazie damit – vor allem Maggie Smith, die aus dem Rollenmuster der "rassistischen alten Dame" ein Maximum an Glaubwürdigkeit herausholt. Allerdings zeigen ihre Mitstreiter ebenso, warum sie zur Elite der britischen Schauspielerriege gehören: Judi Dench verleiht ihren gestelzt-philosophischen Voice-Overs die nötige Prise Würde und Bill Nighy überzeugt als angestaubter Beamter, hin- und hergerissen zwischen Alltagstrott und Aufbruch.

Leider bleibt der Charme des Films aber primär den Charakteren und der grossartigen Szenerie, brillant eingefangen von Ben Davis, vorbehalten. Das Drehbuch zeichnet sich zwar durch einen guten Erzählfluss – die 124 Minuten Laufzeit ziehen überraschend schnell vorüber – und ein paar wirklich gute Linien aus ("A place for old people!" – "Like the Costa Brava?" – "Yeah, but with more elephants"; "Mr. Maruthi..." – "Please! Call me Bhanuprakash!"), es krankt aber an seinen abrupten Verschiebungen des Tonfalls und seinen vorhersehbaren Entwicklungen und Botschaften, die, obwohl richtig und wichtig, alles andere als neu sind. Dass man Menschen und Orte nicht pauschal verurteilen sollte; dass es im Leben manchmal einen radikalen Schritt, einen Bruch braucht; dass Liebe das Recht hat, mit Traditionen zu brechen – das alles sind Botschaften, die man als Zuschauer schon unzählige Male zuvor gelernt hat und inzwischen auswendig aufsagen kann. Auch gelingt es Ol Parker nur ansatzweise, die verschiedenen Handlungsstränge zu Ende zu führen. Dabei stören weniger die finalen Entscheidungen als die kitschige Art, mit der die ohnehin etwas süsslichen Schlusspunkte gesetzt werden.

Angekommen im Getümmel: Evelyn (Judi Dench) entdeckt Jaipur auf eigene Faust.
The Best Exotic Marigold Hotel ist insofern ein interessanter Film, als er im Grunde genommen nicht viel Neues bietet, dafür aber mit gut aufgelegten Darstellern und herrlichen Bildern punkten kann. John Madden lädt ein zu einer visuell anregenden, inhaltlich aber nicht sonderlich anspruchsvollen Indienreise, auf die man sich aber letztendlich gerne einlässt. Es gibt schlechtere Arten, zwei Stunden zu verbringen.

★★★

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