Freitag, 26. August 2011

Crazy, Stupid, Love

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
  
Ein oft beklagtes Problem aktueller Liebeskomödien ist der Mangel an Originalität. Crazy, Stupid, Love zeigt jedoch, dass ein Film auch dann zu unterhalten vermag, wenn das eine oder andere Klischee darin enthalten ist. Man nehme Herz, schrägen Witz und einen bestens aufgelegten Cast.

Cal Weaver (Steve Carell) hat alles, was er sich je erträumt hat: wohlerzogene Kinder, einen sicheren Job, ein eigenes Haus und eine Frau, Emily (Julianne Moore), die er immer noch liebt, wie am ersten Tag. Als diese aber aus heiterem Himmel die Scheidung verlangt, fällt Cal aus allen Wolken. Er zieht aus und verbringt ab sofort seine Tage in einer Bar. Dort trifft er auf den Frauenhelden Jacob (Ryan Gosling), der sich vornimmt, Cal im Umgang mit Frauen zu schulen. Neue Kleider, neues Verhalten und ein paar Gesprächstechniken und schon landet der Geschiedene mit hübschen Frauen im Bett, unter anderem mit der Lehrerin Kate (Marisa Tomei). Gleichzeitig verliebt sich Jacob in die junge Hannah (Emma Stone). Noch kann niemand ahnen, wie eng alle diese Liebeleien tatsächlich zusammenhängen.

Zu sagen, dass Crazy, Stupid, Love das Rom-Com-Genre revolutioniert, wäre übertrieben. Bekannte Stilelemente wie die emotionale Rede, der Sieg der wahren Liebe oder die allgemeine Versöhnung finden alle Erwähnung. Aber dennoch hemmen sie den Genuss des Films grösstenteils nicht. Dies ist einerseits dem schrägen Humor des Autors Dan Fogelman zu verdanken: Er mag Klischees in sein Skript eingearbeitet haben, doch dank des ironischen Tonfalls werden sie oft gänzlich ad absurdum geführt; etwa wenn Cal in einem für ihn traurigen Moment den plötzlich einsetzenden Regen mit "That's such a cliché!" kommentiert oder die Jahresabschlussrede seines Sohnes mit den Worten "My son's speech sucks" unterbricht. Überhaupt werden hier Witze über Dinge gerissen, über die man sich in einer amerikanischen Liebeskomödie normalerweise nicht lustig macht. Die Nacktfotos einer Minderjährigen führen ebenso zu Heiterkeit wie Cal und Emily, die sich mit sarkastischen Sprüchen über ihre seltsamen Kinder unterhalten.

Unterschiedliche Kameraden: Jacob (Ryan Gosling, links) und der geschiedene Cal (Steve Carell) stossen bei ihren Traumfrauen an ihre Grenzen.
Die Geschichte selber ist ein herrliches Chaos aus Verbindungen und echten und falschen Gefühlen, denen die Charaktere scheinbar hilflos ausgesetzt sind. Der diesbezügliche Höhepunkt ist der Moment, in dem Jacob auf Hannahs Eltern trifft; nicht nur wartet die Szene mit einem wunderbaren Twist auf, sie führt sämtliche Handlungsstränge zusammen – das Ende von Lessings Nathan der Weise fällt einem ein – und endet so fulminant (und handfest), wie keine andere Rom-Com jüngerer Zeit. Und trotz der Lacher, die daraus entstehen, vermochten die Regisseure Glenn Ficarra und John Requa der Story eine gewisse emotionale Resonanz zu verleihen, nicht zuletzt dank der sorgfältigen Charakterentwicklung. Dabei hilft auch die Schauspieltruppe, die offenkundig Spass daran hatte, sich – getreu dem Filmtitel – verrückte und, ja, auch etwas einfältige Figuren einzuleben.

Crazy, Stupid, Love ist zweifelsohne eine Liebeskomödie, welche die Genre-Konkurrenz erblassen lässt. Nicht jeder Gag mag funktionieren, nicht jedes Klischee wird hinterfragt; aber man wird unterhalten und nicht für dumm verkauft. Und dafür sollte man dem Film dankbar sein.

★★★★

Donnerstag, 18. August 2011

Barney's Version

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Kann es einem TV-Regisseur wie Richard J. Lewis gelingen, ein Buch von Mordecai Richler, einem der grössten kanadischen Literaten, würdig zu verfilmen? Es scheint so. Barney's Version mag unstet und überlang sein, doch es gelingt dem Film tadellos, das Herz des Zuschauers zu erobern.

Der wohlhabende kanadische Seifenoper-Produzent Barney Panofsky (Paul Giamatti), Sohn eines jüdischen Polizisten (der herrliche Dustin Hoffman), hat in seinem Leben viel erlebt. Alles begann 1974 in Rom, als sich Barney spontan mit der Künstlerin Clara (Rachelle Lefevre) verheiratete, bald aber einen Rückzieher machte, woraufhin sich seine Angetraute das Leben nahm. Es folgten "die zweite Mrs. P." (Minnie Driver), eine selbstgefällige, aber gut aussehende Jüdin, und Miriam (Rosamund Pike), mit der Barney zwei Kinder hat und die er immer noch abgöttisch liebt. Doch diese ist nun mit Blair (Bruce Greenwood) verheiratet. Nun ist Barney partnerlos, langweilt sich und muss feststellen, dass sein Gedächtnis immer schlechter wird. Als eines Tages ein Buch erscheint, das ihn des Mordes an seinem besten Freund Boogie (Scott Speedman) bezichtigt, sieht er sich gezwungen, seine Version seiner Vita zu erzählen.

Rostet alte Liebe doch? Der an Alzheimer erkrankte Barney (Paul Giamatti) trifft sich mit seiner Ex-Frau und „wahren Liebe“ Miriam (Rosamund Pike).
Paul Giamatti erhielt für seine grandiose Darstellung Barney Panofskys bei den Golden Globes 2011 verdientermassen die Auszeichnung für "Bester Hauptdarsteller (Komödie/Musical)". Doch die Frage lohnt sich, ob Barney's Version tatsächlich in die Kategorie der Komödien gehört. Es stimmt zwar, dass der Film den typischen jüdischen Humor der Vorlage so hervorragend einfängt, dass Erinnerungen an Neil Simon und Woody Allen, insbesondere dessen Annie Hall, wach werden; doch Richard J. Lewis und Autor Michael Konyves räumten der Tragödie ebenso viel Platz ein. Kaum ein Lacher wird ohne tragische Gegendarstellung gelassen. So wirkt der mit 134 Minuten Laufzeit etwas zu lang geratene Film zwar nicht sonderlich ausbalanciert, wodurch die Geschichte von Barneys Leben aber auch eine eindrückliche Lebensnähe und damit besondere emotionale Tiefe erhält.

Vor allem der dritte Akt, in welchem Barneys Alzheimererkrankung zum Thema wird, vermag zu begeistern. Dieser gehört zum Traurigsten, was man in jüngerer Zeit im Kino gesehen hat. Kudos für Paul Giamatti, der den Alzheimer-Patienten in seiner ganzen Frustration, Verwirrung und, in guten Zeiten, Seligkeit sehr zurückhaltend und ohne Übertreibung spielt. Aber selbst in dieser Lage behält Richard J. Lewis den Blick für den Silberstreifen am Horizont und gewährt Barney letzten Endes die innere Erlösung – Adam Elliots thematisch verwandtem Animations-Kurzfilm Harvie Krumpet nicht unähnlich.

Wie aktuell schon Beginners dreht sich Barney's Version um das Leben und seine Beziehungen, wobei hier explizit auf die Ehen in Barneys Lebensgeschichte eingegangen wird. Entsprechend ist die inoffizielle Titelmelodie des Films auch Leonard Cohens Song "Dance Me to the End of Love" – eine Soundtrack-Entscheidung, wie sie passender nicht sein könnte.

Barney's Version ist einer der Filme, die einen nicht trotz, sondern wegen ihrer Unvollkommenheit berühren. Allein schon seine letzte halbe Stunde sorgt dafür, dass einen das Gesehene nach Filmschluss noch lange beschäftigen und bewegen wird.

★★★★½

Samstag, 13. August 2011

Rise of the Planet of the Apes

Ein Astronaut verirrt sich im All, landet auf einem von Affen beherrschten Planeten und muss schlussendlich feststellen, dass er sich auf der Erde der Zukunft befindet. Dies ist die Geschichte, die der Franzose Pierre Boulle (Le pont de la rivière Kwai) in seinem Science-Fiction-Roman La planète des singes niederschrieb und die Filmgeschichte schreiben sollte: Die Filmreihe, die mit Franklin J. Schaffners Adaption der Vorlage, Planet of the Apes, 1968 ihren Anfang nahm, ist in vielerlei Hinsicht ein Bilderbuchbeispiel für ein Kultfilm-Phänomen.

Die Franchise hat eine riesige Fangemeinde, die Mythologie des Universums gibt immer wieder Anlass zu Interpretationen und Diskussionen und es existieren diverse Fortsetzungen, welche sich am Ruf des Originals zu bereichern versuchten. Seit 1968 wurde der Stoff insgesamt sechsmal wiederaufgegriffen, mal erfolgreich (1971: Escape from the Planet of the Apes), mal weniger (2001: Tim Burtons Planet of the Apes). Der neueste Versuch ist nun aber der erste, der es sich zur Aufgabe machte, die 350-jährige Lücke zwischen dem "Heute" und der "Affenzukunft" in Boulles Roman zu füllen – für Fans im Grunde eine Todsünde. Doch Regisseur Rupert Wyatt liess sich – glücklicherweise – nicht beirren. Rise of the Planet of the Apes, Prequel und Reboot zugleich, ist eine triumphale Rückkehr der Affen-Dystopie und eine echte Bereicherung des Serien-Kanons.

Als die neue filmische Annäherung an Boulles Geschichte angekündigt wurde, erntete das Projekt "Untitled Planet of the Apes Prequel" im besten Fall Hohn und Spott, im schlimmsten Verachtung und Hass. Die Frage, wie es zur Revolution der Affen kam, werfe die grundsätzliche Idee des Szenarios komplett über den Haufen, hiess es. So kam es, dass im Vorfeld des Kinostarts Serien-Jünger Rupert Wyatts Streifen boykottierten und Filmkritiker in stiller Übereinstimmung schon vor den Pressevisionierungen entschieden, dass Rise of the Planet of the Apes ein Tiefpunkt des Blockbuster-Sommers 2011 sein würde, Seite an Seite mit Transformers: Dark of the Moon, The Smurfs und Green Lantern. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Angesehene Kritiker zeigen sich überrascht, ja fast überrumpelt, von der Qualität des Films und auch an den Kinokassen werden signifikante Erfolge verzeichnet.


Worum geht es? Rise of the Planet of the Apes spielt in einem Zeitraum von mehreren Jahren in einer nicht näher definierten, nicht allzu weit entfernten Zukunft – um 2015 scheint keine schlechte Schätzung –, in welcher der Genforscher Will Rodman (James Franco) kurz davorsteht, ein Heilmittel für Alzheimer zu entdecken. Als jedoch bei einer Präsentation der Testschimpanse "Bright Eyes" Amok läuft, werden Will die Gelder gestrichen und die Laboraffen eingeschläfert, mit Ausnahme von Bright Eyes' neugeborenem Sohn, in dessen Gene das Alzheimer-Mittel bereits verankert sind, der von Will gerettet werden kann. Dieser glaubt aber nicht daran, dass sein Medikament gefährlich ist, also testet er es an seinem an Alzheimer erkrankten Vater (John Lithgow) und stellt fest, dass es nicht nur wirkt, sondern sogar in der Lage ist, die kognitiven Fähigkeiten von Menschen zu verbessern. Auch privat hat Will Glück: Er findet in der Tierärztin Caroline (Freida Pinto, bekannt aus Slumdog Millionaire) eine Partnerin. Mittlerweile wächst der Schimpanse, den Will Caesar (per Motion Capture gespielt vom Experten Andy Serkis (Gollum, King Kong)) getauft hat, zu einem hochintelligenten Primaten mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt heran. Als er aber eines Tages einen Nachbarn angreift, weil dieser Wills Vater beschimpft, wird er in ein Affengehege verfrachtet, was den Lauf der Evolution nachhaltig verändern wird.

Was ist Rupert Wyatt (The Escapist) und seinen Autoren Rick Jaffa und Amanda Silver dermassen gut gelungen, dass ihr Film fast alle Vorurteile Lügen straft? Rise of the Planet of the Apes ist nämlich keinesfalls ein fehlerfreies Stück Film ist. Besonders der Liebesgeschichte zwischen Will und Caroline fehlt es an Substanz, Konfliktstoff und Tragkraft, um einen wirklich zu fesseln. Einen gewissen Anteil daran haben sicherlich die blassen Darsteller; insbesondere James Franco wirkt farblos und wird nicht nur von seinem Filmvater John Lithgow, sondern auch von den CGI-Affen, locker an die Wand gespielt.


Allerdings muss der Fairness halber auch bemerkt werden, dass weder Will noch Caroline im Mittelpunkt des Films stehen. Der Fokus liegt, vor allem in der zweiten Filmhälfte, auf Caesar und seiner Verwandlung vom hochintelligenten Hausaffen zum "Befreier" seiner Spezies. Gespielt wird er von einem sensationellen Andy Serkis, der bei den Oscars 2012 für Bewegung in der Academy sorgen könnte. Mimik und Gestik von Serkis wurden mittels Motion Capture auf einen vom Computer animierten, unglaublich realistisch aussehenden Schimpansen übertragen. In den letzten Jahren wurden die Stimmen für eine Oscar-Berücksichtigung von CGI-Schauspielern, deren prominentester Vertreter Serkis ist, immer lauter. Kann man es ihnen nach Rise of the Planet of the Apes noch verdenken? Nein. Serkis' Tierperformance ist mit ihrem Nuancenreichtum und ihrer Natürlichkeit einer der seltenen Fälle, in denen man vergisst, dass man in Tat und Wahrheit einem Menschen zusieht, der, einfach gesagt, mit einer Ansammlung von Pixeln überzogen wurde. Caesar und seine Artgenossen sind nicht nur Affen; sie bewegen und verhalten sich auch wie es ihre physische Natur ihnen vorschreibt, selbst im finalen Kampf gegen die bewaffneten Streitkräfte auf der Golden Gate Bridge. Es ist kein Zufall, dass in diesen Szenen Erinnerungen an die erste halbe Stunde von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey wach werden.

Ein anderer Anhaltspunkt, der die Klasse von Rise of the Planet of the Apes veranschaulicht, ist die Tatsache, dass dem Zuschauer der effektive Übergang von der Entstehung intelligenter Affen zur Weltherrschaft der Primaten vorenthalten und die Welt aus Pierre Boulles Roman, respektive Franklin J. Schaffners Film, lediglich impliziert wird. Auf diese Weise wird eine äusserst wirkungsvolle, dystopische Atmosphäre geschaffen, die nicht allzu sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt und nachvollziehbar genug ist, als dass man sich mit dem Filmuniversum voll und ganz identifizieren kann.


Auch im Hinblick auf die bereits existierenden sechs Filme hat Rupert Wyatt alles richtig gemacht. Die Affen mögen dieses Mal zwar tatsächlich Affen sein, doch die Vorgänger werden weder verspottet noch der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielmehr ist Wyatts Prequel eine Hommage an die Serie, während diese gleichzeitig auch aus einem anderen Winkel beleuchtet wird. Sinnbildlich dafür steht die Szene, in der sich die Primaten aus dem einem Gefängnis ähnlichen Affengehege davon machen: Der Wärter, gespielt von Tom Felton (Draco Malfoy in den Harry Potter-Filmen), darf darin Charlton Hestons legendäre Linie "Get your stinking paws off me, you damn dirty ape!" aus dem originalen Planet of the Apes von sich geben. Doch nun kommen die Worte nicht aus dem Mund des Protagonisten, der von einer äffischen Herrenrasse unterdrückt wird, sondern aus dem eines (noch) herrschenden Menschen – es wird die Frage gestellt, ob die Machtübernahme der Affen vielleicht nicht ganz unprovoziert war.

Rupert Wyatt ist es auch zu verdanken, dass der Film auf hohem Niveau unterhält. Seine Inszenierung zeichnet sich durch Ruhe und Besonnenheit aus, wechselt aber in den passenden Momenten die Tonart und verneigt sich dabei auch vor der epischen Komponente der Serie. Besonders die Golden-Gate-Schlacht ist eine Meisterleistung Wyatts. Die Sequenz ist aufregend, mitreissend und enthält wohl das Bild, an das man sich noch in kommenden Jahren erinnern wird: Was in Planet of the Apes die Freiheitsstatue war, ist hier Caesar, der auf einem Pferd reitend auf den Feind – diejenigen Menschen, die ihn und seine Artgenossen mit Waffengewalt gefangen halten wollen – zustürmt.

Braucht Planet of the Apes ein Prequel? Liegt der Reiz von Pierre Boulles Geschichte nicht gerade darin, dass man über die genauen Vorgänge hinter der Revolution nicht aufgeklärt wird? Wird die Dystopie mit dem Erzählen einer Hintergrundgeschichte nicht ihrer Wirksamkeit beraubt? Darüber liesse sich lange diskutieren, was wiederum beweist, wie gut sich Rupert Wyatts Film in die Franchise einfügt. Doch ob sinnvoll oder nicht, Rise of the Planet of the Apes ist wohl das bestmögliche Prequel ist, das man hätte erwarten können.

★★★★

Donnerstag, 11. August 2011

Super 8

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Filmfans konnten ihr Glück kaum fassen, als Sci-Fi-Visionär J.J. Abrams bekanntgab, dass sein nächstes Projekt eine Hommage ans Frühwerk des Kultregisseurs Steven Spielberg sein und dass der Meister höchstselbst mitproduzieren würde. Was konnte schiefgehen? Viel, wie Super 8 zeigt.

J.J. Abrams ist ein famoser Regisseur. Das hat er zuletzt mit seinem fulminanten Reboot der Star Trek-Filmreihe bewiesen. Auch Super 8 zeichnet sich durch seine stilsichere Inszenierung aus, welche zusammen mit der Musik Michael Giacchinos, Larry Fongs Kamreaarbeit, der Ausstattung und dem spannenden, leider kaum beleuchteten Hintergrund des Aliens zu den positiven Aspekten des Streifens gehört. Doch leider werden alle diese Faktoren von einer traurigen Tatsache überschattet: Abrams' Drehbuch ist eine einzige Katastrophe.

Dabei wäre die Story eigentlich ganz passabel: Im Jahre 1979 wollen ein paar Jugendliche aus dem fiktiven Lillian (Ohio) eine Zombieposse auf Super-8-Film drehen. Bei einer Nachtszene benutzen sie einen vorbeifahrenden Güterzug als Kulisse, da Regisseur Charles (Riley Griffiths) auf professionelle Schauwerte aus ist. Aber mitten in der Szene entgleist der Zug, woraufhin in Lillian seltsame Dinge geschehen und sich das Militär einschaltet. Dennoch will Charles seinen Film zu Ende drehen. Dabei verguckt sich Joe (Joel Courtney), dessen Mutter bei einem Fabrikunfall starb, aber in die hübsche Alice (Elle Fanning – mit Abstand die beste Darstellerin).

Es stimmt, dass dieser Plot Spielberg-Werken wie Close Encounters of the Third Kind oder E.T. ähnelt – daran wäre grundsätzlich nichts auszusetzen –, doch Abrams hat in seinem Drehbuch leider auch Elemente übernommen, auf die man auch in jenen Filmen gut hätte verzichten können. Vor allem die zentrale Kinder-Combo strapaziert die Geduld des Kinogängers: Nicht nur haben diese Bälger so gut wie keine Persönlichkeit – jeder Charakter hat ein einziges definierendes Merkmal – und sind deshalb unvorstellbar langweilig; sie müssen obendrein auch noch fürchterlichen Text von sich geben. Dieser besteht entweder aus willkürlichen Linien, welche hölzerner und unnatürlicher nicht sein könnten ("I'm crying! Oh my god, I'm crying"), aus Dialogen, die ins Nichts führen, oder aus steinalten Witzen, die man schon gefühlte hundert Mal gehört hat.

Trübe Aussichten? Joe (Joel Courtney) und Alice (Elle Fanning) finden zueinander, während ihr Heimatort von einem Monster und dem Militär zerlegt wird.
Nach Subtilität sucht man in Super 8 vergeblich: Es scheint, als ob J.J. Abrams befürchtete, dass man seinem Film nicht ansehen würde, dass er in den 1970er-Jahren spielt; also packte er belanglose Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse, wie etwa den Störfall im AKW Three Mile Island, in sein Skript. Feinsinnige Gags wie der Umstand, dass die Chemiefabrik im Film der Kinder nach George A. Romero, dem Meister des Zombiefilms, benannt ist, sind Mangelware. Auch die Schreckmomente sind völlig uninspiriert und vorhersehbar. Und zu "guter" Letzt ist Abrams' Film in keiner Weise eigenständig – selbst von den Spielberg-Einschläge abgesehen. Kaum ein Moment, in dem man sich nicht an Rob Reiners Stand by Me oder Garth Jennings' Son of Rambow erinnert fühlte.

Super 8 ist eine nervende, abgedroschene und übertrieben rührselige Angelegenheit. So sehr sogar, dass man sich wünscht, das mysteriöse Wesen würde die Hauptakteure einfach verschlingen. So nicht, Mr. Abrams. So nicht.

★★

Donnerstag, 4. August 2011

Beginners

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Wie fühlt man sich als Sohn, wenn sich der eigene Vater nach dem Tod seiner Ehefrau urplötzlich zu seiner Homosexualität bekennt? Dieser Frage geht Regisseur Mike Mills in seinem autobiographischen Film Beginners auf den Grund – eine bewegende Etüde über Liebe und Einsamkeit.

Oliver (Ewan McGregor) hat ein Bindungsproblem. Er flieht aus jeder Liebesbeziehung, weil er sich den Schmerz einer etwaigen Trennung ersparen will. Entsprechend ist sein intimster Freund auch kein Mensch, sondern der anhängliche Arthur (dessen Schweigen oft mit köstlichen Linien untertitelt ist), der Hund seines vor einigen Monaten verstorbenen Vaters Hal (der grosse Christopher Plummer). Er hat sich mittlerweile mehr oder minder damit abgefunden und sucht nicht mehr aktiv nach Liebschaften. Doch auf einer Kostümparty trifft er die charmante Französin Anna (Mélanie Laurent), in die er sich prompt verliebt. Dieser Umstand bringt Oliver dazu, sich mit den Erinnerungen an Hal auseinanderzusetzen. Gut fünf Jahre zuvor, nach dem Tod seiner Mutter, offenbarte ihm sein alter Herr nämlich seine Homosexualität und kündigte an, nun diesen Teil seiner Person erforschen zu wollen. Gesagt, getan: Hal fand in Andy (Goran Višnjić) einen um viele Jahre jüngeren Partner und umgab sich mehr und mehr mit anderen Homosexuellen. Doch sein zweiter Frühling erlitt einen herben Dämpfer, als bei ihm Krebs im Endstadium festgestellt wurde.

Lesematerial für den zweiten Frühling: Oliver (Ewan McGregor) und sein frisch geouteter Vater Hal (Christopher Plummer).
Das wohl auffallendste Merkmal von Beginners ist sein Umgang mit der Zeit. Es wird keine lineare Geschichte geboten, sondern Oliver, der Erzähler, springt scheinbar willkürlich zwischen Gegenwart, naher und ferner Vergangenheit umher – ein Zeitempfinden wie das seiner Mutter, als sie auf dem Sterbebett lag ("jumping back and forth through time"). So entsteht ein Kaleidoskop von Olivers Leben und Leiden, welches illustriert, wie seine Beziehung zu seinem Vater seine Gefühle für Anna beeinflusst. Auch der tragikomische Tonfall des Films gewinnt durch diesen Erzählstil, besonders in den Momenten, in welchen er von Regisseur und Autor Mike Mills auf die Spitze getrieben wird; etwa wenn Oliver die Gegenwart (2003) und die 1950er Jahre anhand von einzelnen Eckpunkten – US-Präsident, Idealbilder, Populärkultur – vergleicht und auf der Leinwand die entsprechenden Bilder mittels Jump Cut (sprunghafter Schnitt) gezeigt werden. Der Nachteil dieses assoziativen Erzählens ist, dass Beginners ob des steten Wechsels zwischen den Handlungsebenen, trotz Mills' durchaus ruhiger und sorgfältiger Inszenierung, mitunter etwas "überflutet" wirkt.

Dies ist aber angesichts der emotionalen Kraft des Films ein geringfügiger Makel. Beginners ist ein Film über Beziehungen – Oliver und Hal, Hal und Andy, Andy und Oliver, Oliver und Anna – und er nimmt sich für jede genug Zeit, sie zu beleuchten und sie, zumindest für den Zuschauer, befriedigend abzuschliessen. Und auch schauspielerisch hat Mike Mills' neueste Arbeit keine Probleme: Sie wird mit Ewan McGregor, Christopher Plummer und Mélanie Laurent von einem exzellenten Trio von Hauptakteuren getragen.

Wer sich nach einem Film sehnt, der nachdenklich, leicht abseitig, lustig und traurig zugleich ist, dem sei Beginners wärmstens empfohlen. Mike Mills bietet ein lebensbejahendes und berührendes Kinoerlebnis.

★★★★½

Mittwoch, 3. August 2011

Das Cabinet des Dr. Caligari

Jede Kunstform hat ihren Ursprung in einem Werk, einer Idee, einer Person. So etwa die Geschichte der modernen Musik: Das 20. Jahrhundert hat unzählige stilbildende Künstler hervorgebracht – Hank Williams, Muddy Waters, Bob Dylan –, doch die Kette der Inspiration lässt sich letzten Endes, mehr oder weniger zumindest, auf den legendären Delta-Bluesman Robert Johnson, der 1938 mit nur 27 Jahren starb, zurückverfolgen.

Eine ähnliche Logik kann auch auf den Film, das definierende Kunstmedium des letzten Jahrhunderts, angewendet werden. Hier steht allerdings kein Einzelwerk an der Spitze der Hierarchie, sondern vielmehr eine Gruppe von Filmen, doch das Phänomen ist dasselbe. Was, wenn Meilensteine wie Le voyage dans la lune (1902), The Birth of a Nation (1915), Metropolis (1927), La passion de Jeanne d'Arc (1928) oder eben Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) nicht existierten? Nicht auszudenken, wo das bewegte Bild als Erzählform heute wäre.

Der Stellenwert, den Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari in der Filmhistorie einnimmt, lässt sich kaum hoch genug schätzen. Nicht nur ist der Stummfilm ein frühes Beispiel für den expressionistischen Film der Weimarer Republik und somit ein Vorreiter des deutschen Kinos, er ebnete quasi im Alleingang den Weg für das Genre des Horrorfilms (zwei Jahre nach seinem Erscheinen entstand F.W. Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens) und er gilt allgemein als einer der frühesten Streifen, der sich des Stilelements der Rahmenhandlung bediente. Auch was die Geschichte betrifft, ist der Einfluss des Films nicht nur immens, sondern auch anhaltend. Filme wie The Imaginarium of Doctor Parnassus oder Shutter Island wurden, nach Angaben der Regisseure – Terry Gilliam respektive Martin Scorsese –, stark von der Thematik von Wienes Film beeinflusst.

Tatsächlich liest sich der Plot von Das Cabinet des Dr. Caligari wie eine Art Blaupause für zahlreiche Mysterystreifen, die in den 90 Jahren seit dessen Veröffentlichung über die Leinwände flackerten: Francis (Friedrich Fehér) sitzt mit einem älteren Mann (Hans Lanser-Rudolf) auf einer Bank, als Francis' Verlobte Jane (Lil Dagover) vorübergeht. Daraufhin erzählt der junge Mann die Geschichte des verrückten Dr. Caligari (Werner Krauss), der auf dem Jahrmarkt im Dorf Holstenwall seinen Somnambulisten (einen Schlafwandler) namens Cesare (Conrad Veidt, der in Casablanca seinen zweitletzten Auftritt hatte) ausstellte und ihn Prophezeihungen machen liess. Auf die Frage von Francis' Freund Alan, der ebenfalls in Jane verliebt war, wann er sterben würde, antwortet Cesare "Noch vor der nächsten Morgendämmerung", was sich auch prompt bewahrheitet. Bald ist ganz Holstenwall in heller Panik und sucht verzweifelt nach dem kaltblütigen Mörder.


Ist es möglich, Das Cabinet des Dr. Caligari nach heutigen Standards zu messen? Nein. Was aber möglich ist, ist die Frage, ob der Film nach wie vor seinen Zweck erfüllt. Fasziniert er noch immer? Ist noch Spannung im Plot vorhanden? Allerdings. Zwar lässt sich die Lösung des Mörderrätsels relativ leicht erahnen, doch das Ende wird einen dennoch auf dem falschen Fuss erwischen. Auch visuell ist Wienes Film ein Unikat – auch wenn umstritten ist, wieviel tatsächlich dem Regisseur zuzuschreiben ist. Es wird hervorragend mit Licht und Schatten gearbeitet und der expressionistische Hintergrund kommt wundervoll zum Ausdruck: Ausstattung, Architektur, ja selbst die Dialog-Zwischentitel sind von Asymmetrie geprägt; einzig die Fassade des Irrenhauses ist den Gesetzen des "normalen" Bauwesens unterworfen - daraus soll jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.

Es ist wenig überraschend, dass es Myriaden von Interpretationen zu Das Cabinet des Dr. Caligari gibt. Während die einen seine Aussage der der Norm trotzenden Bewegung des Expressionismus zuordnen, sehen andere in ihm den klassischen Kampf zwischen Diener und Meister, dargestellt im Konflikt von Caligari und Cesare. Die bekannteste Deutung des Stoffs ist aber zweifelsfrei diejenige, die Siegfried Kracauer in seinem Buch Von Caligari zu Hitler (1947) darlegte. Kracauer zufolge widerspiegelt Das Cabinet des Dr. Caligari, gemeinsam mit anderen Filmen der frühen Weimarer Republik, in denen Tyrannen-Charaktere figurieren, die soziale Einstellung der Deutschen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, die sich nach einer hierarchischen Ideologie wie Adolf Hitlers Nationalsozialismus sehnten. Laut ihm symbolisiere der Holstenwaller Jahrmarkt das Chaos der Nachkriegsgesellschaft, der nur eine diktatorische Person wie Dr. Caligari entgegenwirken könne.

Ob diese ambitionierte These nun der Weisheit letzter Schluss ist, soll jeder selber für sich entscheiden. Tatsache ist, dass Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari auch im 21. Jahrhundert, fast 100 Jahre nach seinem Erscheinen, eine besondere Faszination ausübt, der man sich nur sehr schwer entziehen kann. Die ungewöhnliche äussere Erscheinung des Films, die ursprüngliche, spannende Geschichte – alle diese Faktoren funktionieren heute noch genauso wie bei der Premiere am 27. Februar 1920. Denn Filmmagie ist zeitlos.

★★★★★