Donnerstag, 10. März 2011

Rango

Animationsfilme werden immer selbstbewusster. Wir leben in einer Zeit, in der Spielfilme mit gezeichneten, gekneteten oder am Computer generierten Charakteren nicht mehr nur Kinderkram sind, sondern sich auch Erwachsene am Spass beteiligen können – glücklicherweise.

Da ist natürlich die Versuchung gross, sich über die Grenzen der Konvention hinaus zu wagen und die Traditionen frech links liegen zu lassen. Das neuste Beispiel hierfür ist Rango, eine Möchtegern-Western-Satire, von Gore Verbinski, dem Regisseur der ersten drei Teile von Pirates of the Caribbean: Ein Chamäleon erlebt im Wilden Westen des Tierreichs ein grosses Abenteuer.

Die tatsächlich sehr seltsamen und anarchischen Figuren, die sich in Rango tummeln, erobern, mithilfe von Verbinskis Mainstream-Prestige, modernster Animation und einem überaus prominenten Sprechercast, zurzeit die Kinos und setzen damit die Erfolgsgeschichte des unkonventionellen Trickfilms fort. Dass es aber mehr braucht als eine originelle Ausgangslage und schräge Charaktere, um einen wirklich "anderen" Film zu machen, scheint irgendwo zwischen den uninspirierten Anspielungen und Zitaten untergegangen zu sein.

Der Film beginnt vielversprechend: Klassisches Breitbild und dazu ein langsam lauter werdender Score, der von Ennio Morricone stammen könnte, präsentieren sich dem Zuschauer. Plötzlich wendet sich eine aus Eulen bestehende Mariachi-Band ans Publikum und besingt den Helden der bevorstehenden Tragödie: Rango, der tapfere und unerschrockene Herold des gesetzeslosen Westens, zu dessen verfrühtem Tod die Geschichte hinführen soll. Den ersten Laut, den wir von diesem dem Tode Geweihten hören, ist ein wohlbekannter: "Moose calls", wie sie Walter Matthau im Komödienklassiker The Odd Couple nannte – Jack Lemmons Nasallaute, um seine Nebenhöhlen zu öffnen, hier von Johnny Depp, dessen Stimme eine kreative Mischung zwischen Raoul Duke und Captain Jack Sparrow ist, zur Perfektion imitiert.

© Paramount Pictures Switzerland
Fürwahr, der Start von Rango ist amüsant und lässt auf einen schrägen, vielleicht auch schwarzhumorigen Film Marke Tim Burton hoffen. Blickt man allerdings nach 100 Minuten zurück und lässt, während auf der Leinwand ein an The Good, the Bad and the Ugly erinnernder Abspann läuft, das soeben Erlebte noch einmal Revue passieren, dann wird einem klar, dass schon in dieser amüsanten Anfangsminute sehr viele Belege zu finden sind, die nahelegen, weshalb Rango nicht so richtig funktionieren will: Zum einen ist da das Geräusch-Zitat. Es wurde direkt aus einem anderen Film übernommen und provoziert dieses eine Mal ein Schmunzeln, weil man es kennt und es gerne sieht, wenn ein Filmemacher Jack Lemmon die Ehre erweist. Nur wird dem Witz an sich keine neue Dimension hinzugefügt. Im Gegenteil: Die Geräusche verlieren an Substanz, weil sie untrennbar mit Felix Ungers Neurosen verbunden sind. Kurz: Es ist nicht der Witz von Gore Verbinskis Film, es ist derjenige von Gene Saks' Film.

Dieses Muster zieht sich durch den ganzen Film hindurch. Immer wieder werden Szenen aus anderen, besseren Filmen direkt zitiert, im Glauben, die Vorlage zu karikieren. Dies führt zwar zu manch einem netten Lacher, wirkt aber auf Dauer wie faules Drehbuchschreiben. Subtile Anspielungen wie Ned Beattys Figur, die sich erst nach einer gewissen Zeit als clevere Adaption von Gabriele Ferzettis "Mr. Choo-Choo" aus Sergio Leones Meisterwerk Once Upon a Time in the West entpuppt, oder die essentielle Frage "Who are you?" (aus dem gleichen Film) sind selten.

© Paramount Pictures Switzerland
Zum anderen ist da die Andeutung der Mariachi-Band, einem der wirklich lustigen Running Gags. Sie steht sinnbildlich dafür, dass sich die Ansätze in Rango zu einem tollen Film weiterführen liessen, wenn mit ihnen nur konsequent umgegangen worden wäre. Doch so wie die Eulen ihr Versprechen nicht halten, weiss der Film aus seinen Vorzügen nichts zu machen. Wie die nicht richtig funktionierenden Anspielungen lässt sich auch dieser Mangel auf John Logans unausgegorenes Drehbuch zurückführen. Seine Prämisse – ein Chamäleon mit Woody Allen'scher Sinnkrise wird in die tierische Version des Wilden Westens aus Once Upon a Time in the West, A Fistful of Dollars, The Ballad of Cable Hogue und High Noon geworfen – und seine anarchischen Charaktere – von Maulwurf-Hinterwäldern über eine korrupte Schildkröte im Rollstuhl bis hin zu einer Klapperschlange mit einer Gatling-Waffe als Klapper gibt es nichts, was es nicht gibt – würden sich hervorragend in eine abgefahrene Story à la Fear and Loathing in Las Vegas einfügen. Leider aber entschied sich Logan für eine satirische Herangehensweise mit einer leicht überzeichneten Western-Geschichte. Zwar werden gewisse Tabus munter gebrochen – so sterben zum Beispiel diverse Figuren –, doch irgendwelche erzählerische oder inhaltliche Grenzen werden nicht überschritten. Die Überzeichnungen per se mögen amüsant sein, doch ansonsten fühlt sich Rango an, als ob Logan nicht gewusst hätte, was er mit seiner originellen Basis anfangen soll. Und wenn die Geschichte doch eine unerwartete Richtung einschlägt und mit einer so noch nie dagewesenen Sequenz auffährt, wird dem Ganzen durch eine müde Anspielung, die man eher in einem Shrek-Film erwarten würde, die Originalität geraubt – so etwa die auf Fledermäusen reitenden Maulwürfe, die aufeinanderfolgend von Wagners "Ritt der Walküre" und Strauss' "An der schönen blauen Donau" musikalisch begleitet werden. Man will kaum glauben, dass Hans Zimmer diesen aus Public-Domain-Stücken und 1:1-Zitaten von Ennio Morricone zusammengeklaubten Score geschrieben hat.

Auch leidet der Film unter einem akuten Pointenmangel; nicht schlechte Witze sind das Problem, sondern nicht vorhandene. In mehreren Szenen hat man das Gefühl, Logan und Verbinski hätten einen Lacher des Publikums eingeplant, aber vergessen, einen Gag zu platzieren. Immerhin, die Witze, die treffen, treffen sehr genau. Rango ist, trotz seines Humordefizits, eine recht vergnügliche Angelegenheit, was vor allem seinen verrückten Charakteren zu verdanken ist.

© Paramount Pictures Switzerland
Positiv zu Buche schlägt – neben der makellosen Animation und der vorzüglichen optischen Gestaltungen – vor allem der Stimmencast. Johnny Depp gelingt es, Rango – dessen Name wohl Ringo (John Wayne) und Django (Franco Nero) seine Reverenz erweist – glaubwürdig als Mittelding zwischen Hunter S. Thompson und Clint Eastwood, dessen Abbild quasi einen Deus-ex-machina-Auftritt hat, zu charakterisieren. Neben Depp agiert ein ganzes Sammelsurium von hochkarätigen Sprechern: Isla Fisher bleibt als leicht gestörte Femme fatale – Rangos Love-Interest – mit einem vorzüglichen Südstaatenakzent in Erinnerung, während Abigail Breslin ihre stimmliche Wandelbarkeit als Kaktusmaus unter Beweis stellt. Die ultimativen "Scene Stealer" sind allerdings ohne Frage Ned Beatty als Mayor John, der nach Toy Story 3 wieder einem Bösewicht mit seiner Stimme zu sehr viel Klasse verhilft; Alfred Molina als weises Gürteltier; Harry Dean Stanton als blinder Maulwurf, der angenehm ans Gesindel in Peckinpah-Western erinnert; und Bill Nighy als Rattlesnake Jake, dessen viel zu kurzer Auftritt als Reinkarnation von Henry Fondas Frank (Once Upon a Time in the West) einen starken Eindruck hinterlässt.

Ist Rango wirklich "anders"? An der Oberfläche ist er wie kein anderer Film, das kann neidlos zugegeben werden. Geht man allerdings tiefer, finden sich konventionelle Muster, die sich nicht durch originelle Prämissen und Figuren aus der Welt schaffen lassen. Gore Verbinskis Film ist ein unterhaltsamer Animationsstreifen, der aber aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln viel zu wenig gemacht hat. Es werden mehr Umwege und exzentrische Wendungen genommen als etwa in einem Pixar-Film, aber das Ganze ist im Hinblick auf die Möglichkeiten, die das Konzept geboten hätte, einfach zu zahm. Brüche mit der Tradition sind besonders bei Animationsfilmen sehr willkommen, müssen aber konsequent durchgezogen werden.

★★

Montag, 7. März 2011

True Grit

Buchverfilmungen sind eine zweischneidige Angelegenheit. Die Filmadaption des geschriebenen Wortes kann einem Schriftsteller mehr Ruhm und Bekanntheit eintragen als seine Werke es je zu tun in der Lage wären. Auf der anderen Seite jedoch kann eine schlechte, oder zumindest ungenaue Verfilmung dazu beitragen, seinen Namen mit der verfremdeten Version seiner Erzählung zu verbinden.

Kaum jemand wird dies besser wissen als Charles Portis, der 1968 mit dem Roman True Grit einen derartigen Erfolg landete, dass er binnen eines Jahres in Schulen auf die gleiche Stufe wie Edgar Allen Poe oder Walt Whitman gestellt wurde – ein "Instant Classic" eben. Auch Hollywood wurde auf das Phänomen aufmerksam: Regisseur Henry Hathaway nahm sich des Materials an, schrieb es mit Marguerite Roberts so um, dass es voll und ganz auf den legendären Western-Haudegen John Wayne, der dafür auch prompt mit einem Oscar ausgezeichnet wurde – seinem einzigen –, zugeschnitten war, und Filmgeschichte wurde geschrieben. Portis seinerseits wurde vergessen, da der Name True Grit nach Hathaways Streifen nur noch mit Wayne in Verbindung gebracht wurde. Nun haben es sich Joel und Ethan Coen zur Aufgabe gemacht, Portis und das ganze Genre des Westerns mit einer werkgetreuen Romanadaption noch einmal hochleben zu lassen. Resultat: ein Meisterwerk.

Man könnte sich nun fragen, weshalb die Coens unbedingt einen waschechten Western drehen wollten. Einerseits gibt es wenige Genres, deren Grenzen so klar definiert sind wie diejenigen des Wildwestfilms, und das Brüderpaar ist wohlbekannt dafür, solche Grenzen zu missachten. Andererseits wurde keine andere cineastische Stilrichtung so oft für tot erklärt, nur um hie und da wieder – meist erfolglos – aufzuerstehen. Filme wie 3:10 to Yuma oder The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford mögen gut oder sogar sehr gut sein; finanziell blieben sie aber alle mehr oder minder hinter den Erwartungen zurück. Nun, in dieser Beziehung bekundete True Grit der Coen-Brüder keine Probleme: Die Einnahmen stehen derzeit bei gut 215 Millionen Dollar – bereits jetzt der grösste Box-Office-Hit des Duos.

Bleibt die Frage nach den Genregrenzen: Ist True Grit eine Persiflage, ein ironischer Abgesang oder gar eine eiskalte Demontage dieser altehrwürdigen Filmgattung? Nein. Nicht nur ist der neueste Film der Coens eine kongeniale Buchverfilmung, sondern auch ein grossartiger Spätwestern im Stile von Meistern wie Sam Peckinpah, Clint Eastwood oder Sergio Leone. Nichts wird parodiert, die eigene Geschichte und die Charaktere werden ernst genommen und die diesbezüglich berüchtigten Coens sehen sogar von augenzwinkernden und relativ offensichtlichen Anachronismen ab, wie man sie in Filmen wie A Serious Man oder O Brother, Where Art Thou? bewundern durfte.

© Paramount Pictures Switzerland
Nun muss noch die Frage gestellt werden, ob die Coens ihrem Quellenmaterial gerecht wurden – anders als Henry Hathaway und John Wayne, die eine solche Treue dem Roman gegenüber gar nicht erst anstrebten. Wie bereits die Coen-Adaption von Cormac McCarthys No Country for Old Men ist auch True Grit eine Interpretation, die Sinn und Geist der Vorlage haargenau trifft, aber nicht daran gefesselt ist. Zwar wartet das Drehbuch der beiden mit einigen (willkommenen) Wort-für-Wort-Zitaten auf, ist aber ansonsten in seiner Lakonie und seinem schwarzen Humor, welche auf ihre Weise aber sehr Portis' Buch entsprechen, eindeutig Joel und Ethan Coen zuzuordnen.

Weniger Coen-typisch ist die einfache, ja geradezu simple Story: Ein Mann wird ermordet, seine 14-jährige Tochter Mattie (Hailee Steinfeld) heuert den ruppigen, trinkfesten U.S. Marshal Rooster Cogburn (Jeff Bridges) an, um den entflohenen Mörder (Josh Brolin) zu fangen, ein Texas Ranger (Matt Damon) gesellt sich hinzu, und das Trio reitet in Richtung Indianerterritorium los. Die Frage, ob die Coen-Brüder dazu fähig sind, eine derart geradlinige Geschichte umzusetzen – ohne exzentrische und verrückte Wendungen à la The Big Lebowski oder Burn After Reading –, ist eine ähnliche wie diejenige, ob sie einen "echten" Western drehen können. Das Duo beweist ein hervorragendes Gespür für das Genre und weiss eine dafür charakteristische Geschichte um Vergeltung und Gerechtigkeit meisterhaft zu erzählen. Und auch die Erzählweise orientiert sich an Spätwestern Marke Peckinpah oder Leone: Das Zeitalter der Revolverhelden und Outlaws neigt sich auch hier seinem Ende zu.

Dies wird besonders während des genialen Epilogs evident, wenn eine erwachsene Mattie – der Film ist, ganz der Vorlage entsprechend, eine Erinnerung seines zentralen Charakters – feststellen muss, dass die Helden und Bösewichte von damals Seite an Seite in Wildwestshows ihre Künste zur Schau stellen, um eine verlorene Zeit nachzuäffen. Wie allen grossen Western liegt auch True Grit eine gewisse Melancholie zugrunde, welche in der letzten Einstellung ihren Höhepunkt erreicht, wenn Mattie über das allzu schnelle Fortschreiten der Zeit sinniert und zu den Klängen von Iris DeMents wunderschöner Version des Gospel-Standards "Leaning on the Everlasting Arms", dessen Melodie das Hauptthema von Carter Burwells Score darstellt, in der Ferne verschwindet.

© Paramount Pictures Switzerland
Eine derartige Tiefe konnte beim John-Wayne-Vehikel gar nicht entstehen, da dort einerseits die Geschichte keine Rückblende ist und so die notwendige kritische Distanz der Hauptfigur nicht vorhanden ist, und andererseits die Hauptfigur selber die "falsche" ist. Der Aspekt des Hauptcharakters ist auch einer, welcher sich vom Buch zur ersten Verfilmung veränderte, und bei dem die Coens Charles Portis Gerechtigkeit widerfahren liessen: Bei Henry Hathaway stand Marshal Rooster Cogburn im Zentrum, bei Charles Portis das Mädchen Mattie Ross, aus deren Sicht die Geschichte auch erzählt wird. Das Risiko, welches die Coen-Brüder hier eingingen, war, dass, wenn die Rolle falsch oder unzureichend besetzt würde, die Qualität des ganzen Films fallen würde. Newcomerin Hailee Steinfeld schafft solche Sorgen bereits in ihrer ersten Szene aus der Welt. Sie ist vorlaut, reif und ausserordentlich rational und hält mit ihrer Präsenz gewissermassen das ganze Charaktergebilde zusammen. Auch kommt durch sie die biblische Komponente von Portis' Roman sehr schön zum Tragen. Ihre Verwandlung vom behüteten, von der Sonntagsschule geprägten Mädchen zur Rächerin ihres Vaters wird durch ihre Durchquerung des Flusses, der Zivilisation von Wildnis und Outlaw- und Indianergebiet trennt, symbolisch dargestellt. Sie reitet auf ihrem Pferd durch den tiefen Strom, um die beiden erwachsenen Gesetzeshüter, die nicht an einer jugendlichen Begleiterin interessiert sind, einzuholen, und erlebt dabei quasi ihre Taufe.

An Steinfelds Seite agieren Jeff Bridges als Rooster Cogburn und Matt Damon als Texas Ranger LaBoeuf. Bridges' Performance ist für sich allein bereits ein kleines Meisterstück. Er imitiert in keinster Weise John Wayne, sondern macht den Marshal zu seiner eigenen Rolle. Sein undeutlicher, nuscheliger Südstaaten-Slang, der im Übrigen von allen Akteuren zur Perfektion gesprochen wird und so dem Film viel Authentizität verleiht, ist wahrlich grossartiges Schauspiel und verdient höchstes Lob. Auch verleiht Jeff Bridges seiner Figur die nötige Tiefe: Trotz seines ungehobelten Verhaltens, seiner ausschweifenden Liebe für Whisky und seiner Derbheit hat er ein gutes Herz, das sich im entscheidenden Moment auch für die vorlaute Mattie öffnet. Zudem beweist Bridges mehrfach sein komödiantisches Talent, sei es mit lapidaren Bemerkungen in ungewöhnlichen Situationen, oder sei es, wenn der betrunkene Marshal auf die Idee verfällt, Maisbrot aus der Luft zu schiessen. Aber selbst in seinen lächerlichsten Momenten ist Rooster keine Karikatur, sondern eine kostbare Erinnerung Matties. Doch auch Matt Damons Leistung sollte nicht unterschätzt werden: Er erhebt die Figur des LaBoeuf zu mehr als einem schnell sprechenden Comic Relief und macht ihn zu einem würdigen Gegenspieler von Rooster Cogburn.

© Paramount Pictures Switzerland
Die Geschichte ist aber auch reich an Nebenfiguren, zwischen skurril und ungemein böse, allesamt von exzellenten Darstellern gemimt. So bleibt etwa der herrliche Ed Corbin in Erinnerung, der sich in einer Jarmusch'schen Szene als wandernder, besonnener Zahnarzt im Bärenfell mit Rooster und Mattie unterhält. Auf der Seite der Antagonisten vermag vor allem Barry Pepper als Outlaw "Lucky" Ned Pepper zu begeistern. Von seinem Charakter geht eine spürbare Bedrohung aus. Aber auch Josh Brolin als Tom Chaney, der Mörder von Matties Vater, überzeugt als durchtriebener Gangster. Aufs Ganze gesehen ist True Grit ein perfekt besetzter Ensemblefilm, in dem jeder Darsteller genug Zeit bekommt, seiner Figur das ganze Potential zu entlocken.

Auch optisch gibt es bei True Grit nichts zu bemängeln. Die reiche Ausstattung und die authentischen Kostüme wurden von den Coens brillant in Szene gesetzt. Und an der Kamera liefert einmal mehr Roger Deakins – einer der besten Kameramänner, die zurzeit in Hollywood arbeiten – einen herausragenden Job ab. Die Coen-Brüder und Deakins haben allesamt ein feines Auge für die Ästhetik der Leere, die schon viele Western visuell unverwechselbar machte. Und da sich True Grit im Winter abspielt, sind auch einige atmosphärische Anleihen bei Genre-Titanen wie John Ford und Anthony Mann erkennbar, besonders in den Szenen, die sich in blätterlosen Wäldern abspielen und Braun- und Grautöne vorherrschen.

Joel und Ethan Coen sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem von ihnen nur noch Spitzenleistungen erwartet werden. Es ist bewundersnwert, wie gut sie mit diesem Druck umgehen und weiterhin nur diejenigen Projekte in Angriff nehmen, die ihnen am Herzen liegen. Diese Strategie hat sich einmal mehr ausgezahlt: True Grit ist mehr als nur eine brillante Buchverfilmung; es ist ein Film, der souverän auf eigenen Beinen steht und in jeder Hinsicht genial ist – unbesehen, ob man nun die literarische Vorlage und/oder Hathaways Erstverfilmung kennt oder nicht. Regie und Skript der Gebrüder Coen sind einmal mehr makellos, ebenso die schauspielerische Leistung des ganzen Casts und die technischen Aspekte. True Grit ist schlicht ein epochales Meisterwerk des späten Westernkinos.

★★★★★